aus: Umgang 4. Aufl. ; 3.Exkurs: Zu den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Haut
Etwa ab der siebten Entwicklungswoche zeigt sich die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Entwicklung der Haut darin, daß die Haut der Frau mehr Bindegewebe und eine ausgeprägtere Unterhautfettschicht hat, während die Haut des Mannes mehr Haare hat.
Im Bindegewebe der Haut finden sich Pacinikörperchen, die druckempfindlich sind. Sie reagieren unmittelbar auf den leisesten Druck. Daraus folgt, daß die Haut der Frau als ihr “zweites Gehörsystem” zu betrachten ist, da diese andere Beschaffenheit der Haut den Druck der akustischen Wellen wahrnehmen kann. Die frauliche Haut ist also auch ein Wahrnehmungsorgan für Atmosphäre (die ja bekanntlich auch einen gewissen Druck ausüben kann). Dieser Sachverhalt bestimmt natürlich auch das Zärtlichkeitsempfinden einer Frau. Das bedeutet nicht, daß ein Mann weniger sensibel ist; er ist es anders. Durch die vermehrte Behaarung ist er über die Haut für die Wahrnehmung der adversiven Anwendung des weiblichen Prinzips empfänglich und kann Reizflut (Überdynamisierung) von angemessenem Umgang unterscheiden. Reizflut läßt ihm die Haare zu Berge stehen und macht ihn unruhig; sie kann jedoch auch seine patriarchale Grundausbildung aktivieren und ihn verleiten, den “Big Mac” zu spielen. Nebenbei: Die Tastfähigkeit des Mannes kann von ihm als zusätzliche Wahrnehmungshilfe angenommen werden.
Die Haut der Frau unterstützt ihr weibliches Prinzip, die Haut des Mannes sein männliches Prinzip.
Aufgrund der unterschiedlichen Vater-VA-Folgen bei den Geschlechtern kommt dem Ohr auch eine geschlechtsspezifische Bedeutung zu (unabhängig davon, daß die Aktivität des Ohres durch weibliche Hormone sensibilisiert wird).
Söhne lernen sehr schnell über das Auge den vaterorientierten Umgang mit dem eigenen Geschlecht. Das gesprochene Wort hallt zwar auch in ihnen nach, hat jedoch nur formale Bedeutung. Das äußert sich später, wenn sich im Ton oder in der Wortwahl vergriffen wird, in dem entlastenden Satz “Das war doch nur Spaß”. Die formale Bedeutung von Wörtern orientiert sich an der Erarbeitung einer eigenen männlichen Position. Sie gestaltet wesentlich den Aufbau der herrschenden Sprache, was sich nicht nur in der Wortbildung, sondern auch in der Phonetik äußert.
Einige wenige Beispiele mögen dies verdeutlichen: Das Spermium wird in der deutschen Sprache “Same” genannt. Der Same einer Blume ist in der Lage eine neue Blume hervorzubringen. Wozu ist der männliche Same allein für sich in der Lage?
Das männliche Personalpronomen “er” klingt, als hätte es ein “h” in der Mitte, während das weibliche “sie” nur noch ein “gen” angehängt bekommen muß, um eine Umgangsweise mit Frauen zu enttarnen.
So wie das Wort “Mitglied” schließt auch der englische Begriff “mankind” mindestens 50% der Weltbevölkerung aus.
Der französische Mann weiß als “homme”, daß nur er Mensch ist. Usw., usw.
Töchter lernen früh, sich nicht nur mit Worten zu verschweigen und zu übersehen, sondern ihnen immer noch eine andere Bedeutung beizulegen, deren Inhalt ihnen vielleicht eines Tages verständlich werden wird. Die Wartezeit dürfen sie sich verkürzen, indem sie Angebote für das möglicherweise Gemeinte machen, die mehr oder weniger wohlwollend geprüft werden. Um nicht aller Gnade und Barmherzigkeit verlustig zu gehen, lernen sie, ihre Sensibilisierungen gegenüber den Schwingungen akustischer Wellen, wie auch ihre Hautreaktionen, keinesfalls ernstzunehmen. Vielmehr müssen sie die damit verbundenen Signale den Deutungen externer Experten überlassen, die mit Hilfe eines physiologischen Schnellkurses den Frauen Material für Selbstdiagnostik liefern, das mindestens das Repertoire von Wetter und Natur (Wetterfühligkeit, Pollenflug, Mondphase usw.) und Erbanlagen berücksichtigt.
Sensible und vegetative Informationen des eigenen Körpers gehören zu den organischen Fähigkeiten eines jeden Menschen. Sie sind Expertinnen in der Deutung situativer Befindlichkeit. Je mehr nun Männer versuchen, die Signale der “inneren Expertin” (24) bei Frauen bedeutungslos zu machen, desto mehr müssen sie sich den Signalen ihrer eigenen “inneren Expertin” gegenüber verschließen. Das hat zur Folge, daß sich Männer körperlichen Symptomen gegenüber weit mehr entfremden, als ihnen bewußt wird. Sie betrachten in der Regel Symptome als etwas Lästiges, das mit ihnen eigentlich nichts zu tun hat und bloß hinderlich ist. Diese körperliche Entfremdung ist der physiologische Ausdruck für ihre durch die Vater-VA geweckte Bereitschaft, die patriarchale Kultur fortzusetzen, also ihr Heil in der Erreichung einer männlichen Position zu finden, die ihrem Streben nach Angleichung an den Vater am ehesten entspricht. Dies orientiert sie am Außen, per effectum muß das Innen diesem Ziel unterworfen werden, ungeachtet der autoaggressiven und das Denken begrenzenden Folgen.
Die durch eine Vater-VA gewirkte Entfremdung von sich selbst hat beim Mann zwar zur Folge, daß er lernt, wie der Vater gewaltsam die Kommunikation nach draußen und nicht mit sich selbst zu unterbrechen. Es müssen jedoch immer mehr Anstrengungen unternommen werden, die herrschaftliche Position zur Geltung zu bringen, was als “lebendig” gedeutet werden kann (“je mehr Zoff, desto besser, sonst: wohin mit den Energien”). Das kann jedoch nur so lange gutgehen, bis die Quellen erschöpft sind, die den “Mythos der Verbesserung” speisen können. So erlangt die in jeder Vater-VA anwesende Todesidee eine ökologische und globale Dimension.
Anknüpfend an unser Modell der Verteilung des männlich-weiblichen Prinzips sei hier der Unterschied einer Mutter-VA (Verwundungserfahrung durch die Mutter) zu der bereits beschriebenen Vater-VA (Verwundungserfahrung durch den Vater) kurz dargestellt:
Eine Frau ist, wie wir gezeigt haben, physiologisch nicht in der Lage, so “dicht” zu machen wie ein Mann. Da Mütter Frauen sind, sind ihre Verwundungsaktivitäten von Natur aus begrenzt. Das angewandte notwendige Mehr an weiblichem Prinzip läßt jedem Kind immer einen Raum, selbst wenn dieser noch so klein erscheint. Eine Frau, die unbewußt ein Mann oder ein besserer Mann sein will, ist formal betrachtet auch in der Lage, die patriarchale Addition durchzuführen. Doch kann sie dies nur mit Hilfe einer verstärkten autoaggressiven Kraftanstrengung. Doch auch sie kann dies nur bis zu einer physischen Grenze, die noch immer Raum für ein Kind läßt.
Der erwähnte Freiraum für Frauen ist gekennzeichnet durch die Position (“mit dem Rücken zur Wand”), die ihr kulturell zugeteilt wird, und durch die Folgen der ihr widerfahrenen Entfremdung von sich selbst. Bildlich gesprochen können Frauen nur dann ihre Autonomie leben, wenn sie sich um 180o drehen und feststellen, daß es diese Wand gar nicht gibt. Die Unterbrechung der Kommunikation mit sich selbst und die mit ihr im Zusammenhang stehende Unkenntnis der anderen und nicht bloß praktischen physiologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau, also Informationslücken und absichtsvolle Desinformation durch Männer, verstärken die defizitäre Selbstvorstellung und das Abhängigkeitsempfinden einer Frau. Dadurch verliert der Begriff Freiraum seines Sinnes eigentliche Bedeutung.
Die gemeinsame Voraussetzung für Unterbrechungen von Kommunikation ist die Schuldfrage. Sie färbt sinnvolles Fragen so an, daß Antworten gesucht werden, die erklären, weshalb ein Mensch dies oder jenes getan hat, ohne daß er dafür etwas konnte. Die Schuldfrage sucht Erklärungen, die das bisjetzige Wissen stabilisieren und deshalb die vertagten Wünsche für noch erfüllbar halten. Sie verfärbt Sinnfragen so, als sei der Sinn und damit unsere Sinnlichkeit, die ihn wahrnimmt, der eigentliche Feind.
Die Verwechslung des Vaters mit einer sinngebenden Instanz hat nicht nur zu einer patriarchalen Gottesvorstellung geführt, sondern bis in die jüngste Vergangenheit hinein dem Familienvater als Haushaltsvorstand mehr Recht eingeräumt als allen übrigen Familienbeteiligten. Dies konnte nur geschehen, weil in jeder Vater-VA die Frage nach der Existenzberechtigung und damit auch nach dem Sinn der eigenen Existenz zur Disposition steht. Das väterliche Wort und die väterliche Tat haben weitaus größere existentielle Bedeutung als die mütterlichen. Das Hören auf die Mutter ist oft bezweckt als Fürbitteninstanz. Da in Konfliktsituationen die Beziehung der Eltern miteinander Vorrang vor der Beziehung mit den Kindern hat, entscheiden sich zwar viele Mütter im Ernstfall gegen ihre Kinder, übernehmen jedoch in ihren Strafen männliche Vorbilder. Die Unechtheit dieses Verhaltens kann von Kindern jedoch leicht durchschaut werden. Sie brauchen bloß auf die Wiederaufnahme der Versorgung zu warten, die in aller Regel über kurz oder lang mit Sicherheit von der Mutter geleistet wird.
Dies hilft mit, die Idee zu fixieren, daß eines Tages der Vater oder ein ihm ähnlicher Mensch die Erlösung für die Tochter bringen wird, wie es ja auch schon früh durch das “Happy-End-Modell” der Hausmärchen vermittelt wird. Söhne bedürfen dieser Art Erlösung nicht, da ihre patriarchale Grundausbildung darin besteht, selbst zum Beglücker und Erlöser von Frauen zu werden. Die Annahme dieser Aufgabe durch die Frauen ist in der Tat jedoch auch den Männern Erlösung - sie spüren jedoch diese Abhängigkeit nicht als Folge der Vater-VA: Diese Abhängigkeit soll die Söhne als Konkurrenten der Väter ausschalten.
Die kindliche Anschauung vom Vater als sinngebende Instanz wirkt die Idee, daß, wie das Ja des Vaters, auch der eigene Sinn erarbeitet werden müßte. Da Sinn sich selbst gibt, kann etwas als Sinn ausgegeben, also gegeben werden. Sinn hat kein eigenes Subjekt. Er gibt sich, weil dies sein Sinn ist. Er zwingt nicht. Als Gabe ist ihm das Gegebenwerden inhärent, das die Annahme nicht intendiert.
Da liegt der Unterschied zwischen dem Vater als pseudo-sinngebende Instanz und dem Sinn selbst: Väter intendieren die Annahme ihrer Meinungen, Ideen, Wünsche usw. Das Kind versucht die Annahme, landet jedoch bei Vermutungen, die als Glaubenssätze im Frontalhirn gespeichert werden. Die Verwerfung der Sinnhaftigkeit der Existenz eines Kindes macht zwar das Kind, jedoch nicht den Sinn ohnmächtig. Der Ursachenzusammenhang der Verwerfung durch den Vater ist aufweisbar und dadurch wißbar. Im Akt der Verwerfung klärt ein Mensch stets für sich selbst endgültig die Schuldfrage im Hinblick auf ein Ereignis so, daß er sich in der Sicherheit seiner eigenen Glaubenssätze als schuldlos empfinden kann. Diese Empfindung drückt sich bei Vätern häufig in einem Flair des Unbeteiligtseins aus. Daraus entwickeln sich Verhaltensweisen, die von gnädiger Großzügigkeit über lästige Eingriffshandlungen bis hin zu sadistischer Gewaltausübung reichen können.
Die Unterbrechung der Kommunikation nach draußen steht auch im Zusammenhang mit der Vater-VA, ist jedoch eine bewußt entschiedene, absichtsvolle Entscheidung und immer auch eine Entscheidung zur Reproduktion der Vater-VA-Folgen. Diese repräsentieren stets eine Folge, die allen gemeinsam ist: die kindliche Situation des Alleingelassenseins, des Verrats an der Würde und die Umwandlung genuiner Impulse in autodestruktive Energien. Die Fähigkeit zur Angewiesenheit auf Außenimpulse wandelt sich mehr oder weniger deutlich erfahrbar in das Empfinden totaler Abhängigkeit, das durch die Erfahrungen in der frühesten Kindheit mit der Todesidee verbunden ist. Da ein Kind nicht in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, muß es lernen, die Versorgung sicherzustellen. Das gelingt auf die eine oder andere Art, und das wird in die Überlebensstrategie des Unterbewußten eingebracht.
Die Bereitschaft eines Mannes, mit diesem Wissen zwischen Jetzt und Damals zu unterscheiden, also seine eigene Position in der Gegenwart von seinen tatsächlichen Möglichkeiten her zu sehen, öffnet ihn für die Sinnfrage, da er Verwundung nicht mehr als persönliche Schuld und Verwundungsfolgen nicht mehr als Folgen persönlichen Versagens zu deuten braucht. Dadurch ist er auch in der Lage, Impulse von außen auf ihre annehmbaren und fühlbaren Inhalte zu überprüfen. Diese Wachsamkeit stützt seine Lernfähigkeit so, daß er eine Frau in ihrer Andersartigkeit und ihrer physiologischen Unterschiedenheit achten kann. Das ändert seine eigene Stimmung so, daß per effectum auch seine Stimme sich ändert und deren Untertöne die “innere Expertin” einer Frau von seiner Achtung überzeugen können.
Die frauliche Unterbrechung der Kommunikation mit sich selbst als eine in der Vater-VA gelernte zusätzliche Fähigkeit kann durch das Wissen aufgehoben werden, das sie nicht nur zwischen Damals und Jetzt unterscheiden läßt, sondern der Frau auch die Möglichkeit bietet, ihre Weiblichkeit nicht als Schmach zu betrachten, sondern als das natürliche Gewand ihrer Würde. Die Annahme des Augenblicks beinhaltet bereits die Würdigung ihrer Person und ist keineswegs identisch mit der Zustimmung zu ihr übel gesonnenen Impulsen, wie sie es noch in der Vater-VA-Situation dachte.
Verwundung ist nicht persönliche Schuld, Weiblichkeit kein Makel; Verwundungsfolgen sind nicht Folgen persönlichen Versagens, die inneren Empfindungen und Gefühle kein Anlaß zur Scham; Sprachlosigkeit ist kein Zeichen von Häßlichkeit oder fehlender Attraktivität, der Wunsch nach Ichhaftigkeit kein Vergehen.
Die Annahme des Augenblicks setzt die Erfahrung der Souveränität frei, die eine Möglichkeit menschlicher Wirklichkeit ist, und führt in die Autonomie. Bezogen auf die Frau bedeutet dieser Begriff in unserer kulturellen Wirklichkeit unüberhörbar das Recht auch auf die Irrtumsfähigkeit, mit deren Hilfe eine Frau ihre eigene Lernfähigkeit lebendig erhält. Dieser Zusammenhang führt nicht zu einem Dasein als “Dummchen”, sondern wegen des Mehr an weiblichem Prinzip zur umfassenden Aktivierung der Intelligenz. Dadurch wird glücklicherweise niemandes Versorgungslage gefährdet, da auch ein Mann in der Lage ist, sich selbst Frucht zu sein, das heißt sich selbst zu versorgen. Zur Annahme des Augenblicks gehört auch das Gewahrwerden von Wissens- und Informationslücken. Indem eine Frau dies so sieht, entfällt die Basis für die Sorge um ihre Richtigkeit. Sie braucht nicht mehr zu projizieren, zu harmonisieren, zu entlasten, zu entschulden, zu erklären, zu erstarren, zu werten, zu rätseln, zu grübeln, zu suchen, zu ertragen. Die Energien dazu kann sie zur Orientierung an sich selbst und zu Fragen innerhalb ihres eigenen Zusammenhangs und aufgrund der Informationen der “inneren Expertin” verwenden. Übrigens, es ist erwiesen, daß an einer mit sich selbst identisch lebenden Frau noch kein Mann gestorben ist. In der Hinsicht sind wir glücklicherweise alle Menschen.